Zweimal Friedrich (04.06.2023)



Heute wollten wir uns auf die Spuren des Preußenkönigs Friedrich II. machen. Und gleich im Doppelpack sollten Geschichten von ihm erzählt werden.

Aber zunächst hieß es morgens an der Brücke die Planung für diesen Tag zu vervollständigen. Vor der Fahrrad-Sternfahrt waren wir ja vor ein paar Tagen gewarnt worden. Und den verschiedenen Quellen im Internet war zu entnehmen, wo und wann welche Straßensperrungen zu erwarten seien. Und so schön ein solches Event ja sein mag, aber dass nicht nur Berlin, sondern zeitgleich auch weite Teile Potsdams davon betroffen waren und ein Durchkommen nach Westen unmöglich war, dürfte des Guten dann wohl ein bisschen viel sein. So wurde bei zunehmender Panik versucht, eine alternative Route zu finden. Eine Umfahrung über die Autobahn wäre die Schlimmste aller Möglichkeiten gewesen. Eine Kombination von Autobahn und südliches Potsdam war noch immer gefahrenreich. So entschlossen wir uns zu einer Nord-Runde. Das hieß, es sollte über die Havelchaussee und B5 bis zum Berliner Ring gehen und ein kurzer Sprint über die A10 uns bei Uetz wieder auf die geplante Route führen. Insgesamt war es eine Strecke von knapp 30 Kilometern und somit etwa 18 km mehr als geplant. Unseren Zeitplan drückte das mächtig, denn wir hatten einen Termin um 12 Uhr.

Als wir mit Benno, Christoph, Daniel, Detlev, Fredo, Hans-Jürgen, John, Mirko, Petroula und mir vollzählig waren und noch Brötchen und Kaffee intus hatten, lichteten wir die Anker.



Insgesamt war der Start ziemlich chaotisch. Denn mit uns zusammen starteten gleich zwei weitere Gruppen. Einmal war es eine Roller-Clique, die uns beim Losfahren behinderte und außerdem eine andere Gruppe, die anfangs auch noch den gleichen Weg nahm wie wir. So dauerte es ein wenig, bis sich die Gruppen sortiert hatten. Aber entgegen aller Befürchtungen haben wir niemanden verloren. Und so konnte es, wie zuvor neu geplant, über die Havelchaussee gehen



und weiter die Heerstraße entlang,



die dann als B5 weiter ins Freie führte.





Nach einem kurzen Stück auf der A10 erreichten wir nach der Abfahrt Potsdam Nord den Ort Uetz und befanden uns nun auf der geplanten Tour.



So fuhren wir über Paretz, Ketzin, Roskow, Päwesin und Boolmannsruh weiter ins Havelland hinein. Zwischendrin legten wir unsere erste Pause – die Einreihpause – ein.





Zu besprechen gab es zwar einiges. Aber die stressigen Umstände unseres Startes konnten vieles erklären. So setzten wir unsere Fahrt fort.







Märkisch Luch, Garlitz, Gräningen und Bamme hießen die nächsten Ortschaften, bevor wir unmittelbar vor Rathenow auf die B188 einschwenken, die uns weiter nach Westen führte. In Richtung Schmetzdorf verließen wir die breiteren Pfade erneut, um hinter Sydow und Melkow unser erstes Etappenziel in Wust zu erreichen.





Wir wurden auch bereits von unserer Kirchenführerin erwartet.





Zunächst wurden wir über die Kirche und ihre bewegte Geschichte informiert: die zwischen den Jahren 1191 – 1206 errichtete und vom Havelberger Bischof Helmbert geweihte Saalkirche mit einem Fachwerk-Turm stand seit dem 17. Jahrhundert unter dem Patronat der märkischen Adelsfamilie von Katte. Damit erschloss sich das erste Rätsel, nämlich was die Tour heute mit Katzen zu tun habe. Das plattdeutsche "Katt" für "Katze" ist das Wappentier der Familie Katte. So wurde die Kirche im 17. Und 18. Jahrhundert reich eingerichtet. Neben Altar, Kanzel, Taufbecken verzieren mehrere Epitaphe der Patrone die kleine Kirche. Eine beeindruckende Kassettendecke, die anlässlich der Geburt eines der Söhne von Hans von Katte (16.06.1633-24.01.1684) gestiftet worden war, ist ein weiteres besonderes Merkmal dieses Ortes.











Ein in Brandenburg sehr verbreitetes Utensil der Dorfkirchen war auch hier zu finden: die Stundenuhr.



Oftmals fehlt das zerbrechliche Stundenglas. Hier ist zwar erhalten aber es handelt sich nicht um das Original. Diese Stundenuhren waren eine Mahnung an den Priester: auf den Befehl von König Friedrich-Wilhelm I. durfte eine Predigt nie länger andauern als eine Stunde.

Hinter dem Altar findet sich ein Sarkophag.



Dies ist die Ruhestätte eines Angehörigen der Familie. Der sehr ungewöhnliche Ort ist allein der Platznot geschuldet. Denn neben der Turmgruft und dem Gruftanbau reichte es zum Schluss nicht mehr.

Außerdem gab es noch ein paar Schaubilder über die Familienhistorie zu sehen.









Und damit kamen wir zu unserem eigentlichen Ziel: die angebaute Gruft der Familie.



Auch hier erhielten wir einen kundigen Vortrag.





Es ging um die Geschichte des Hans Hermann von Katte: am 28. Februar 1704 in Berlin als Spross des alten märkischen Adelsgeschlechtes derer von Katte auf Wust geboren, begegnete er vermutlich im Jahr 1729 dem damals siebzehnjährigen Kronprinzen Friedrich. Zwischen beiden entwickelte sich schnell eine zuweilen sehr intime Beziehung. Die Historiker sind sich bis heute nicht sicher, ob diese Freundschaft nicht doch eher ein Liebesverhältnis gewesen ist. Unbestritten ist jedenfalls, dass von Katte jederzeit (Tag und Nacht) Zutritt zu den privaten Gemächern Friedrichs hatte und wenn er zu Besuch war, kein Diener Erlaubnis hatte, sie zu stören. Friedrich sah zu dem acht Jahre älteren Katte auf und bewunderte seine Weltgewandtheit als stattlicher Reiter des Kürassierregimentes, mit dem er zugleich seine Leidenschaft für Literatur und das Musizieren teilen konnte.

Um seinem gewalttätigen Vater zu entgehen, schmiedete Friedrich den Plan, nach England zu fliehen und weihte seinen Freund ein. Dieser sollte sogar erste Verhandlungen mit dem englischen Hof über die Aufnahme Friedrichs führen. Doch der Plan flog auf. Katte und auch Friedrich wurden verhaftet und der König ließ in Köpenick ein Militärgericht einberufen, um beide wegen Hochverrats zu verurteilen. Das Gericht entschied weise: weil sich von Katte nicht unerlaubt von seinem Regiment entfernt hatte (er bat vorher offiziell um Urlaub) verurteilte es ihn nur wegen des unerlaubten Kontaktes zu fremden Ministern zu einer mehrjährigen Festungshaft. Im Falle des Kronprinzen erklärte sich das Gericht für nicht zuständig.

Dem König war dieser Richtspruch zu milde. Er wies es zurück und befahl dem Gericht "anders zu urteilen". Aber erstaunlicherweise hatten die Richter den Mut, ihm erneut zu widersprechen.

Die Szene ist auf einem Bilderdruck aus dem 18. Jahrhundert festgehalten:



Links auf dem Bild der König und rechts der Mann, der seine Brust präsentiert, soll General-Major von Buddenbrock darstellen, der mit den Worten zitiert wird: "Wenn Eure Majestät Blut verlangen, so nehmen Sie meines, das des Kronprinzen bekommen Sie nicht, so lange ich noch sprechen darf!"

Nachdem das Gericht also nicht willig war, änderte der König selbst das Urteil über Katte in ein Todesurteil um und spielte auch mit dem Gedanken, dasselbe seinem Sohn anzutun. Nur die unzähligen Eingebungen der europäischen Höfe – interessanterweise tat sich hier Wien hervor – und insbesondere die einfühlsamen Worte des Feldpredigers Müller, der den Kronprinzen in seine Festungshaft nach Küstrin begleitet hatte, brachte Friedrich-Wilhelm von seinem Vorhaben ab. Doch als besondere Demütigung Friedrichs verfügte der König, dass die Hinrichtung von Kattes in dessen Gegenwart zu erfolgen habe. So kam es am 6. November 1730 zu dem grausigen Schauspiel, das Friedrich bis an sein Lebensende begleiten sollte. Man zwang ihn an das Fenster zu treten und zuzusehen wie Hans Hermann von Katte im Hof der Festung Küstrin mit einem Schwerthieb enthauptet wurde.



Auf Befehl des Königs musste der Leichnam mehrere Stunden liegenbleiben, damit jedem das Urteil bewusst wurde.

Der Leichnam von Kattes wurde in aller Stille und ohne jedwede Beteiligung seiner Familie in die Familiengruft überführt. Bei Fontane ist nachzulesen, dass es ein trüber November-Nachmittag in der fünften Stunde war. Über die regennassen Feldwege fuhr ein Leiterwagen, den zwei magere Pferde zogen. Auf dem Wagen stand ein schwarz angestrichener Sarg ohne jeden Schmuck und Beschlag. Ein alter Knecht des Gutshofes, der alte Jerse, trug mit Hilfe von zwei Tagelöhnern den Sarg in die Gruft, in der schon prächtige Sarkophage der Vorfahren standen. Auf die Frage eines der Tagelöhner "Wo sall he hen?" antwortete der alte Jerse: "'t is ehr Söhn. Awer et jeiht nich. Stellt em in de Eck."

Seitdem steht der schlichte Holzsarg verschämt in einer Ecke der Familiengruft.



Damit war die erste Station absolviert und wir kehrten zurück zu unseren Motorrädern und zogen weiter.





Der nächste Halt war nicht weit entfernt. Wir brauchten nur schnell über die Elbe zu setzen





und fuhren in das alte Städtchen Tangermünde ein.



In der Altstadt hielten wir an diesem besonderen Haus.





Vor vielen Jahren, bei der ersten Recherche zu dieser Tour, bin ich eher zufällig auf dieses Haus gestoßen. Es wurde gerade saniert und dabei wurde ein wichtiges Detail erhalten. Links über der Einfahrt wurde zwar der tragende Balken erneuert. Aber das letzte Stück des früheren Balkens wurde erhalten, weil dieser eine Schnitzerei mit dem Innungszeichen der Bäcker – eine Brezel – trug. Also das zweite Stichwort des heutigen Tages.



Das Errichtungsjahr wurde auf 1700 geschätzt und das Haus steht in Sichtweite des Rathauses. So viele Zufälle konnte es nicht geben. Denn alle diese Details stimmen mit einer weiteren Geschichte um Friedrich überein:

Friedrichs Mutter Königin Sophie Dorothea entstammte dem Hause Hannover. Regelmäßig einmal im Jahr war es üblich, dass das Königspaar die Familie der Königin besuchte. Dies war immer eine anstrengende Reise, auf der stets in Tangermünde eine Rast eingelegt wurde. König Friedrich-Wilhelm I. nutzte die Gelegenheit, um sich mit den Honoratioren der Stadt im Rathaus zu besprechen.

Der kleine Fritz war bei diesen Reisen von frühester Kindheit an mit dabei. Im Alter von drei Jahren entwickelte sich ein Ritual, das in Tangermünde legendär wurde. Über das ganze Jahr hinweg sparte Friedrich einen Teil seines Taschengeldes, um in Tangermünde bei dem dortigen Brezelbäcker Zwieback, Semmeln und Brezeln zu kaufen. Er verteilte die Sachen unter den armen Leuten. Die Königin beobachtete die Szene vom Fenster des Rathauses und wenn die erste Spende zu Ende ging, schickte sie einen Boten, der einen weiteren Einkauf tätigte, um dem kleinen Kronprinzen den Spaß an der Verteilung der Gaben zu verlängern.



Später im reifen Alter sagte Friedrich einmal, dass er an diesem Orte zum ersten Mal das Vergnügen genossen habe, sich von Untertanen geliebt und Dankestränen in den Augen der Kinder und Greise gesehen zu haben.

Für uns befand sich gleich gegenüber die heutige Futterluke.



Im Biergarten des Lokal kehrten wir ein und genossen das anhaltend schöne Wetter.











Das Essen war gut und reichhaltig und so konnten wir pappsatt wieder aufsatteln.





Wieder zurück über die Elbe,



kurvten wir in das Ländchen Rhinow hinein. Doch plötzlich war die Gruppe weg.



Doch glücklicherweise war es "nur" ein technisches Problem, das für den unplanmäßigen Stopp sorgte. Man war schon dabei zu basteln.





Das Problem war schnell diagnostiziert: es wurde ein M5er-Schraube benötigt. Als ein freundlicher Biker anhielt und uns fragte, ob er helfen könne und wir ihm das mit der Schraube erzählten, sagte er lachend, dass er diese nun ausgerechnet nicht dabei habe. Auf unsere Rückfrage, ob da auch sicher sei und dies begleitet von unseren durchdringenden Blicken, die gerade sein gesamtes Motorrad abscannten, versetzten ihn dann doch in Sorge und ließ ihn schnell das Weite suchen. Na ja. Das Problem haben wir dann auf andere Weise gelöst. Nennen wir es mal "kreative Ersatzteilbeschaffung". Aber mehr Infos gibt es dazu keine – zumindest nicht ohne Anwalt. ;-)

Wir konnten die Fahrt jedenfalls wieder fortsetzen.







Hinter Schollene, Molkenberg, Garz und Strodehne machten wir einen Tankstopp.





Weiter ging es ostwärts um den Gollenberg herum der seinerzeit Otto Lilienthal für seine Flugversuche diente. Ihm zu Ehren hier im Hintergrund der Flieger.



Auf schmalen Pfaden ging die Reise weiter.











Es fehlte zur heutigen Tour noch das dritte Stichwort. Dabei sollte es um einen ungewöhnlichen Ortsnamen gehen. So legten wir einen weiteren Stopp ein.



Es stellte sich die Frage, wie man diesen Ortsnamen ausspricht und welche Bedeutung er hat.



Allen sprachlichen Versuchen zum Trotz ist die Lösung doch einfach: es handelt sich um drei voneinander getrennte Worte: Lobe – of – Sund. Und es soll soviel heißen wie "Gelobt sei der Sand". Man erzählt sich, dass im Dreißigjährigen Krieg vorbeiziehende schwedische Soldaten dies den hiesigen Bewohnern und den Arbeitern auf dem Feld zugerufen haben sollen. Und gemeint war damit, dass nach mühsamem Marsch durch die sumpfigen Wiesen die hiesige Sand-Insel auf der das frühere Vorwerk des Gutes Königshorst, das etwa zu dieser Zeit am Beginn/Mitte des 17. Jahrhunderts gegründet wurde, lag, das Gehen mächtig erleichterte, worüber sich die Fußsoldaten sehr freuten. Ob und wie weit diese Geschichte aber der Wahrheit entsprach, weiß niemand so genau. Aber auch, wenn sich die Schreibweise in den letzten Jahrhunderten mehrfach änderte, blieb es sprachlich doch immer bei seinem Kern.

Von hier war es nicht mehr weit bis Kremmen.









Diesmal auf unkonventionellen Wegen nahen wir eine Abkürzung, um in das Scheuenviertel einzufahren.





Bei Kaffee, Eis und anderen Erfrischungen ließen wir hier den Tag ausklingen.



Bleibt festzuhalten: ein außergewöhnlich chaotischer Start, gefolgt von einer trotzdem angenehmen Tour. Fahrtechnisch vielleicht nicht die allererste Klasse. Mag sein, dass das auch daran lag, dass wir schon lange keine WarmUps mehr durchführen konnten. Denn es ist schon zu beobachten, dass wir mit den Teilnehmern einen kleinen Generationenwechsel hingelegt haben. Und da fehlt es noch ein wenig an der Praxis. Aber was nicht ist, das kann noch werden. Und schon am 17. Juni gibt es ja die nächste Gelegenheit dafür.

Jedenfalls vielen Dank an die Mitreisenden für einen tollen Tourentag!

Gruß Ron